Jedes Mal wenn ich nach Pianosa komme, fühle ich den selben, sich widersprechenden Eindruck zwischen verwundertem Staunen und einer entwaffnenden Gereiztheit. Gerade erst mit dem Schiff der Fährlinie abgefahren katapultiert mich die Wirkung von dem offenen Meer und seinen monumentalen Felsenriffs in eine weit entfernte Dimension, unbeteiligt von den Urlaubsrhythmen des Abfahrtshafens von Marina di Campo: die fünfundvierzig Minuten der Überfahrt scheinen absichtlich gemacht um den Geist auf eine zum Teil surreale Erfahrung vorzubereiten. Die Fähre legt nicht genau im alten kleinen Hafen an, wunderschön und zu gekünstelt zugleich, sondern wenige Meter weiter im Westen an einer Mole aus Zement und Eisen ohne jeglichen ästhetischen Anspruch.
Träume ich oder bin ich wach?
Noch bevor sie einen Fuß an Land setzen erscheint es ihnen in einen Nicht-Ort einzutreten, der in aller Eile vor wenigen Tagen evakuiert worden ist. In der Tat zeigen sich der kleine Hafen und die Gebäude des Ortes ziemlich baufällig und fast unbewohnt, hier wohnen jetzt ständig nur die wenigen Häftlinge, die sich am Ende ihrer Haftstrafe diese angenehme Ecke des Mittelmeers verdient haben dank ihrer mustergültigen Führung, gemeinsam mit wenigen Gefängniswärtern, die ich mir mehr als Reisegesellschaft als Bewacher
vorstelle. Mit der Institution des Nationalparks des toskanischen Archipels wohnen schichtweise auch einige Beamten der Forstpolizei. Im Sommer verbringen auch einige der alten Anwohner, die ihren Besitz behalten haben nostalgischen Urlaub dort. Obwohl die Gebäude rings um den kleinen Hafen stark heruntergekommen
sind und zum Teil einsturzgefährdet, bewahren sie doch ihre märchenhafte Schönheit, dass man sich überlegt, ob sie wirklich renoviert werden sollten. Und hier stellt sich die Frage ohne Antwort: ist es möglich, dass ein so bezaubernder Ort in so einer totalen Vernachlässigung gelassen wird? Besuchen sie die Insel und sie werden ihre antike Geschichte entdecken: christliche Katakomben, Reste einer kaiserlichen römischen Villa, Plünderungen der Piraten, Geschichten von Heiligen und Gaunern, die Wirklichkeit einer kleinen Gemeinschaft, die in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts um das Gefängnis entstanden ist, gemeinsam mit den unabhängigen Wunschvorstellungen von einigen Direktoren. Wenn sie die Vorgeschichte und die Paläontologie begeistern, gibt es auch etwas für sie. Häufiger jedoch sind die Besucher von Pianosa an den außergewöhnlichen Farben seines Meeres interessiert und an den Meeresgründen, die zu den reichsten an Leben des Mittelmeers gehören, den steilen, vom Seegang zermahlten Felsenriffs, die sich mit winzigen Stränden mit äußerst feinem Sand abwechseln. Auf jeden Fall werden sie zufrieden sein! Nachdem man auch nur ein paar Stunden in die Düfte und die Faszination von Pianosa eingetaucht ist, geschieht es normalerweise, dass sie die
beunruhigende Frage am Anfang wieder intakt mitnehmen.
Achtundsechzig von Pianosa
Die Vernachlässigung und der Zerfall in dem sich die wunderbare kleine Insel
noch heute befindet geht auf das Datum 1968 zurück, als, nach einem Jahrhundert Gefängnis, die kleine Gemeinde aus zivilen Anwohnern, die sich angesiedelt hatten und von der mageren Wirtschaft des Gefängnisses lebten eiligst evakuiert wurde. Die wenigen Personen bildeten den menschlichen Kern, die die geschichtliche Fortdauer der Insel garantierten, aber die Verwandlung der Strafanstalt in ein Gefängnis mit Hochsicherheitstrakt, in das Terroristen und Mafiosi eingesperrt wurden, hat den zivilen Tod angerichtet, genauso wie vor ein paar Jahrhunderten vorher es aus Gründen von den Piratenüberfällen geschehen war. Sie werden von denjenigen, die auf Pianosa verkehren immer wieder hören, dass die vielen zuständigen Behörden: Gemeinde von Campo nell’Elba, Staatsdomäne, Gefängnisverwaltung, Nationalpark, Region und bestimmt andere, die wir Menschen uns nicht einmal vorstellen können, verfügen nicht über die notwendigen Ressourcen, um die Insel zu säubern und
zu renovieren. Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Meine persönliche Gewissheit ist, dass es kein konkret durchführbares Projekt für die Wiederbelebung dieser Insel gibt, zu viele Kompetenzen und Autoritäten, die sich überkreuzen und das unsichere Schicksal dieser Insel bestimmen, das ist die chronische, schuldhafte Unfähigkeit von eiten eines Staates, der diese Insel als Gefangene von sich selbst hält.
Das Paradox von Pianosa
Dennoch atmet man, wenn man entlang der vielen Pfade geht, alle offensichtlich eben, zusammen mit der unendlichen Vielfalt der der Essenzen des Mittelmeers eine mythische Süße und ein Gefühl der Freiheit, das auf geheimnisvolle Weise mit der diskreten Anwesenheit der Häftlinge, äußerst höflich und immer hilfreich, im Einklang ist. Man versteht, dass falls es eine intelligente Bereitschaft, selbstlos und entschlossen, gäbe, es nicht so schwierig wäre, aus der Notlage heraus zu kommen und diese Plattform aus antiken fossile Meeresgründen, die vor wenigen Millionen Jahren aufgetaucht ist, ihren üblichen leuchtenden Glanz wiederfinden würde.
In der Tat verkörpern die Katakomben und die kaiserliche Villa nicht anderes als die Überreste von schmerzhaften Verbannungen, um nicht von den Gebäuden des Gefängnisses zu reden mit dieser kilometerlangen Mauer, die vom General Dalla Chiesa während der Jahre des Bleis gebaut wurde, eindrucksvolles Zeugnis der anachronistischen wie unwirksamen Idee der unmöglichen Separation des Bösen und des Guten. Es ist eine Tatsache, dass sich hier Licht und Schatten sanft auflösen in einer Natur, die das ganze tausendjährige menschliche Schaffen zu assimilieren scheint, genauso wie sie es mit den zahllosen Schalen der fossilen Muscheln
gemacht hat, aus denen das Gerüst der Insel besteht. Pianosa erscheint heute als Sinnbild einer Jahrtausende alten Kultur, die den Beleidigungen der Zeit und der Heuchelei der Menschen widersteht und sie scheint dafür bestimmt zu sein, den Samen ihrer Wiederauferstehung zu bewahren trotz jeder Augenscheinlichkeit.
Graziano Rinaldi